Überaktive Blase –
was ist das?

Ein anfallsartiger, plötzlich auftretender Harndrang charakterisiert die Überaktive Blase. Dieser Drang kann nur mit größter Mühe unterdrückt werden. Diese Symptomatik führt typischerweise zu häufigen Blasenentleerungen. Die englische Bezeichnung der Überaktiven Blase lautet Overactive Bladder.

1Wein AJ, Chapple CR, Overactive Bladder in Clinical Practice, Springer-Verlag 2012, S. 1; Corcos J, MacDiarmid S, Heesakkers J (Hrsg.), Overactive Bladder: Practical Management, Blackwell Publ 2015, S. 3; Perucchini D, Overactive Bladder – Fragen und Antworten, Uni-Med Verlag 2014, S. 20.
Überaktive Blase –
mit oder ohne Inkontinenz

Führt der plötzliche Harndrang nicht zu unwillkürlichem Harnverlust spricht man auch von trockener Überaktiver Blase oder Reizblase. Bei etwa einem Drittel der Patienten kommt es zu unwillkürlichem Harnverlust, dann spricht man von Dranginkontinenz.

Perucchini D, Overactive Bladder – Fragen und Antworten, Uni-Med Verlag 2014, S. 20.
Was sind die Ursachen einer Überaktiven Blase?

Grund ist, dass die Regulation der Blasenentleerung gestört ist und dadurch sinnlose Blasenkontraktionen entstehen. Die Ursache dieser Störungen ist bis heute nicht eindeutig geklärt, es sind jedoch verschiedene Auslöser identifiziert.

Wein AJ, Chapple CR, Overactive Bladder in Clinical Practice, Springer-Verlag 2012, S. 29 ff Perucchini D, Overactive Bladder – Fragen und Antworten, Uni-Med Verlag 2014, S. 26.

Überaktive Blase bei Frauen und Männern

Die Häufigkeit der Überaktiven Blase steigt mit dem Alter an. Umbauvorgänge nach den Wechseljahren sind wahrscheinlich ein wichtiger Auslöser bei Frauen.

Bei Männern ist eine Prostatavergrößerung der häufigste Auslöser einer Überaktiven Blase, da die Blase den Urin mit vermehrter Muskelkraft durch die verengte Harnröhre pressen muss. Dieser erhöhte Druck führt zu einer erheblichen Belastung der Blase, die unter anderem mit „Reizblasenbeschwerden“ reagiert.

Cardozo L, Robinson D. Urology 2002; 60 (Suppl 1): 64–71. Corcos J, MacDiarmid S, Heesakkers J (Hrsg.), Overactive Bladder: Practical Management, Blackwell Publ 2015, S. 118 ff.
Weitere Ursachen einer Blasenüberaktivität
Perucchini D, Overactive Bladder – Fragen und Antworten, Uni-Med Verlag 2014, S. 30, 87Schickinger J, Inkontinenz, Verlag Stiftung Warentest 2014, S. 77Wiedemann A, Füsgen I, Eur J Ger 10 (2008): 145; Wiedemann A, Eur J Ger 11 (2009): 30 – 35
  • Neben der sog. idiopathischen Überaktiven Blase gibt es verschiedene Ursachen für eine Blasenüberaktivität.
  • Beispielsweise können Blasenentzündungen, -steine oder
    -tumoren den Meldemechanismus ans Gehirn stören, so dass es zu reflexartigen Blasenkontraktionen kommt.
  • Morbus Parkinson und Multiple Sklerose sind Erkrankungen des zentralen Nervensystems mit schweren Schädigungen der Nerven, die zu komplexen Blasenentleerungsstörungen führen können. Man spricht auch von neurogener Blase.
  • Ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus kann auf lange Sicht die Nervenfasern in der Blasenmuskulatur erheblich schädigen, so dass eine diabetische Zystopathie mit Überaktiver Blase entstehen kann.
  • Zahlreiche Medikamente begünstigen eine Blasenüberaktivität. Darunter sind Antidepressiva, Calciumantagonisten, Diuretika, Cholinergika, Antidementiva, Betablocker, Herglykoside.

Wie werden Überaktive Blase und Dranginkontinenz behandelt?

Basis der Behandlung sind Blasen- und Beckenbodentraining, Anpassungen im Lebensstil und Entspannung. Diese Maßnahmen sollten auch bei medikamentöser Therapie unbedingt konsequent beibehalten werden.

Die medikamentöse Standardtherapie erfolgt mit Anticholinergika, die die Aktivität des Blasenmuskels dämpfen.

Eine lokale Behandlung mit Östrogen-Salben oder -Zäpfchen kann bei Frauen die Beschwerden einer Überaktiven Blase dämpfen. Sie führt zu einem Aufbau der Schleimhäute, einer Erhöhung der Durchblutung, Stärkung der Muskulatur und Verbesserung der Abwehrkräfte.

In den wenigen Fällen, in denen diese Maßnahmen nicht erfolgreich sind, kommen Botox-Injektionen in die Blase unter Narkose in Betracht.

Wein AJ, Chapple CR, Overactive Bladder in Clinical Practice, Springer-Verlag 2012, S. 75 ff Perucchini D, Overactive Bladder – Fragen und Antworten, Uni-Med Verlag 2014, S. 34 ff, S. 44 ff
Blasentraining

Blasentraining ist als Verhaltenstherapie zu verstehen mit dem Ziel, wieder ein Gefühl der Sicherheit über die Blasenfunktion zu erreichen. Zunächst wird das inkontinenzfreie Intervall bestimmt, d.h. der kürzeste Zeit-Abstand zwischen 2 Miktionen bzw. Harnverlusten. Im 2. Schritt entleert der Patient die Blase nach der Uhr in diesem Zeitabstand. Danach wird der Zeitabstand um 15 bis 30 Minuten pro Woche erhöht, bis ein 2 – 3 Stunden langes Miktionsintervall erreicht ist.

Perucchini D, Overactive Bladder – Fragen und Antworten, Uni-Med Verlag 2014, S. 41-42
Beckenbodentraining

Eine regelmäßige Anspannung der Beckenbodenmuskulatur ist nicht nur bei Belastungsinkontinenz wirksam, sie hemmt auch den Miktionsreflex und Kontraktionen des Blasenmuskels.

Gelegenheiten, dem Beckenboden etwas Gutes zu tun, gibt es viele, z. B. durch die Angewohnheit, immer gerade zu sitzen. Darüber hinaus sollte Ihr Beckenbodentraining fester Bestandteil Ihres Tagesablaufs werden, um die Harnbremse zu stärken und den Miktionsreflex zu hemmen.

Anleitungen für das Selbsttraining finden Sie in unserem Servicebereich.

Perucchini D, Overactive Bladder – Fragen und Antworten, Uni-Med Verlag 2014, S. 41-42

Welche Therapieformen gibt es?

Anticholinergika: Standardtherapie

Anticholinergika spielen die zentrale Rolle bei der medikamentösen Behandlung der überaktiven Blase.

Sie entspannen die Blasenmuskulatur und erhöhen damit die Aufnahmekapazität der Harnblase. Die Harnblase kann sich nun stärker füllen, bevor sich Harndrang einstellt. Außerdem wird das plötzliche starke Zusammenziehen des Blasenmuskels gedämpft und somit dem ungewolltem Urinverlust vorgebeugt. Die Therapie mit Anticholinergika ist eine Dauertherapie.

Wein AJ, Chapple CR, Overactive Bladder in Clinical Practice, Springer-Verlag 2012, 83-84 Perucchini D, Overactive Bladder – Fragen und Antworten, Uni-Med Verlag 2014, S. 46-48

Botulinumtoxin (Botox)

Eine Behandlung mit Botulinumtoxin kommt bei Versagen oder Unverträglichkeit der Standardtherapie in Frage.

Botulinumtoxin ist ein bakterielles Nervengift, das in geringen Dosen in der Lage ist, die Blase so zu dämpfen, dass die Symptome einer Überaktiven Blase verschwinden. Es muss in die Blase injiziert werden – in der Regel ist dazu eine Narkose erforderlich. Die Wirkung setzt dann nach 2 – 4 Wochen ein und hält im Mittel 6 Monate an.

Wein AJ, Chapple CR, Overactive Bladder in Clinical Practice, Springer-Verlag 2012, 105 ff Perucchini D, Overactive Bladder – Fragen und Antworten, Uni-Med Verlag 2014, S. 69 ff

Hormontherapie

Trockene, schlecht durchblutete Schleimhäute der Scheide und der Harnröhre sind ein Risikofaktor für Infektionen und eine Überaktive Blase. Ein möglicher Grund dafür ist der veränderte Östrogenhaushalt nach den Wechseljahren.

Eine lokale Östrogentherapie mit Östrogen-Salben oder -Zäpfchen führt zu einem Aufbau der Schleimhäute, einer Erhöhung der Durchblutung, Stärkung der Muskulatur und Verbesserung der Abwehrkräfte. Die Beschwerden einer Überaktiven Blase werden gedämpft.

Cardozo L, Robinson D. Urology 2002; 60 (Suppl 1): 64–71. Perucchini D, Overactive Bladder – Fragen und Antworten, Uni-Med Verlag 2014, S. 44 ff Moehrer B, Hextall A, Jackson S. Oestrogens for urinary incontinence in women. Cochrane Database of Systematic Reviews 2003, Issue 2. Art. No.: CD001405

Lebensstil

Änderungen im Lebensstil können eine Überaktive Blase günstig beeinflussen. So sollte sowohl auf Koffein als auch auf Nikotin verzichtet werden, da beide die Aktivität des Blasenmuskels verstärken.

Übergewicht hat einen starken Einfluss sowohl auf Belastungsinkontinenz als auch die Überaktive Blase. Bereits eine Gewichtsabnahme um 5 – 10 % bewirkt bei Frauen eine Reduktion der Beschwerden einer Überaktiven Blase um 50 %.

Auch Verstopfungen sollten durch eine entsprechende Ernährung, Trinken und viel Bewegung vermieden werden. Die Dehnung des Enddarms durch Stuhlansammlungen kann die Sensibilität und das Füllvolumen der Blase verändern und manchmal eine Überaktive Blase auslösen.

Entspannung

Eine Überaktive Blase wird bei empfindlichen Menschen durch Hektik und Nervosität begünstigt. Mit Entspannung können Sie viel dagegen tun! Gönnen Sie sich also häufig Phasen der Ruhe oder der Meditation.

Entspannung kann man auch üben. Zu den wirksamsten Entspannungsübungen gehört die progressive Muskelrelaxation nach Edmund Jacobson.

Anleitungen für das Selbsttraining finden Sie in unserem Servicebereich.

Wie wirken Anticholinergika bei Überaktiver Blase?

Anticholinergika spielen die zentrale Rolle bei der medikamentösen Behandlung der überaktiven Blase. Sie entspannen die Blasenmuskulatur und erhöhen damit die Aufnahmekapazität der Harnblase. Die Harnblase kann sich nun stärker füllen, bevor sich Harndrang einstellt. Außerdem wird das plötzliche starke Zusammenziehen des Blasenmuskels gedämpft und somit dem ungewolltem Urinverlust vorgebeugt. Die Therapie mit Anticholinergika ist eine Dauertherapie. Es dauert ca. 1 Woche, bis ein Anticholinergikum wirkt und es kann ein paar Wochen dauern, bis die richtige Dosis gefunden ist.

Wein AJ, Chapple CR, Overactive Bladder in Clinical Practice, Springer-Verlag 2012, 83-84 Perucchini D, Overactive Bladder – Fragen und Antworten, Uni-Med Verlag 2014, S. 46-48.

Nebenwirkungen von Anticholinergika

Alle bei Überaktiver Blase angewandten Anticholinergika haben Mundtrockenheit als häufige Nebenwirkung. Grund ist, dass Anticholinergika den Teil des unwillkürlichen Nervensystems dämpfen, der die Blase – aber auch die Speicheldrüsen – mit Nervenimpulsen versorgt. Stellt sich Mundtrockenheit ein, kann dies durchaus als Erfolgsanzeichen interpretiert werden. Bonbons, öfter mal ein Schluck Wasser oder Kaugummikauen können die Mundtrockenheit meist lindern, häufig verschwinden die Beschwerden aber auch nach 2 – 3 Wochen wieder. Auch wenn Mundtrockenheit lästig ist: Im Vergleich zu den Beschwerden einer Überaktiven Blase ist sie sicher ein kleines Übel.

Gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Anticholinergika?

Ja. Alle außer einem Wirkstoff sind fettlöslich und können deshalb ins Gehirn eindringen und dort unangenehme Wirkungen entfalten wie Schlafstörungen, Verwirrtheit, Nervosität oder Schwindel. Durch diese Wirkungen erhöht sich bei deren Einsatz auch die Sturzgefahr. Das einzige wasserlösliche Anticholinergikum hat keinen Einfluss auf die Hirnaktivität. Darüber hinaus wirken alle fettlöslichen Anticholinergika entgegengesetzt zu den bei Alzheimer-Demenz eingesetzten Cholinesterasehemmern. Das bedeutet, dass sie eine dementielle Symptomatik verstärken können.

Anticholinerge Last

Zahlreiche andere Wirkstoffe – beispielsweise aus den Substanzgruppen der Antidepressiva, Tranquilizer, Blutdrucksenker, Schmerzmittel, Antiepileptika – entfalten bereits von sich aus anticholinerge Wirkungen im Gehirn, die zusammengenommen die Hirnleistung beeinträchtigen können. Die Summe dieser Wirkungen bezeichnet man auch als anticholinerge Last. Durch die zusätzliche Gabe eines fettlöslichen, also ins Gehirn eindringenden, Anticholinergikums gegen überaktive Blase steigt die anticholinerge Last unnötig. Wasserlösliche Anticholinergika verstärken nicht die anticholinerge Last.

Wein AJ, Chapple CR, Overactive Bladder in Clinical Practice, Springer-Verlag 2012, 85-96 Perucchini D, Overactive Bladder – Fragen und Antworten, Uni-Med Verlag 2014, S. 54

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