Vor wenigen Monaten wurde eine neue Substanz zur Therapie des sog. Typ-2-Diabetes zugelassen, das im Moment zwischen Diabetologen und Urologen heiß diskutiert wird: Mit den sog. SGLT-2-Hemmern oder SGLT-2-Inhibitoren zieht ein völlig neues Therapieprinzip in die Diabetologie ein: Während bisherige Therapieformen darauf zielten, die Bauchspeicheldrüse zur vermehrten Abgabe von Insulin anzuhalten oder die körpereigene Produktion von Zucker in der Leber durch das Hormon Glucacon zu hemmen oder die versiegende Insulinproduktion durch „nachgebautes Insulin“ zu ersetzen, greift die neue Substanz mit dem Handelsnamen „Forxiga®“ an der Niere an. Forscher hatten entdeckt, dass körpereigene Glucose zunächst in den Urin ausgeschieden wird, dann aber zu großen Teilen wieder zurückresorbiert wird.

 

Funktionsprinzip von SGLT-2-Hemmern in der Niere: in dem „Malpighischen Körperchen“ der Niere (links im Bild) werden Blutkörperchen vom Blutplasma getrennt; auf dem Weg zum Nierenbecken wird der Urin im sog. Nierenkanälchen verändert: Substanzen werden in den Urin ausgeschieden (orange Pfeile), andere werden aus dem Urin wieder in das Gewebe aufgenommen (violetter Pfeil). So wird die Glucose aus dem Urin durch den sog. SGLT-2-Transporter resorbiert (roter Stern) um nicht in den Urin ausgeschieden zu werden. Hier setzen SGLT-2-Hemmer an (s. Text).

Im Körper muss die Glucose, die nun dem Kreislauf wieder zur Verfügung steht, mit dem knappen eigenen Insulin oder künstlich gespritztem Insulin mühsam wieder verstoffwechselt werden.

Nun ist es der forschenden Pharmaindustrie gelungen, das Transportprotein zu hemmen, das die Glucose aus dem Urin wieder zurückholt. Das Transportprotein hat den Namen „sodiumdependent glucose transport“, abgekürzt SGLT-2. Die durch die Hemmung des Transprotproteins im Nierenkanälchen verbleibende Glucose wird nun im Urin ausgeschieden und muss nicht mehr verstoffwechselt werden. Positiver Nebeneffekt ist, dass rund 300 Kilokalorien täglich „entsorgt“ werden – die meisten Patienten nehmen unter der Therapie mit dem neuen SGLT-2-Hemmer ab. Wer jetzt auf den Gedanken kommt, das Zuckermedikament als „Diätpille“ zu nehmen muss sich jedoch darüber klar sein, dass SGLT-2-Hemmer nicht dafür zugelassen sind und nur bei Diabetes Sinn machen.

In den Zulassungsstudien der neuen Substanz mit Namen Dapaglifozin tauchten gehäuft Harnwegsinfektionen und Scheidenentzündungen auf, die auf dem nun zuckerhaltigen Urin beruhen könnten. Unklar ist aber auch, ob das Medikament nicht zu „urologischen“ Beschwerden führen wird: Mit der ausgeschiedenen Glucose verlässt auch Wasser den Körper, in dem die Glucose gelöst ist. Vor allem am Anfang einer solchen Behandlung wirkt die Substanz harntreibend wie eine „Wassertablette“. Dies könnte mit urologischen Krankheitsbildern wie der Überaktiven Blase („Reizblase“ oder engl. „overactive bladder“) verwechselt werden bzw. solche Krankheitsbilder überdecken.

Dies ist gerade bei dem diabetischen Patient tückisch. So ist seit 2010, der Veröffentlichung der „Wittener Diabetes-Erhebung“ bekannt, dass gerade Diabetiker zu einer diabetischen Blasenfunktionsstörung neigen. Dr. Wiedemann vom EVK Witten und Prof. Füsgen vom Lehrstuhl für Geriatrie der Universität Witten/Herdecke hatten 4041 Typ-2-Diabetiker befragt und mit der europaweit größten Erhebung zum Thema den Preis der nordrhein-westfälischen Gesellschaft für Urologie gewonnen: Ergebnis der Untersuchung war, dass Diabetiker doppelt so häufig wie nicht-Diabetiker an Harntraktbeschwerden (engl. „lower urinary tract symptoms“ – LUTS) leiden.

Gerade diese Beschwerden könnten durch die neuen SGLT-2-Hemmer verschärft werden. Patienten, die von ihrem Diabetologen oder Hausarzt auf ein solches Medikament eingestellt werden, aber auch generell Diabetikern sollte geraten werden, neben dem Besuch beim Augenarzt, Nierenspezialisten und Podologen den Harntrakt nicht zu vernachlässigen und bei Beschwerden den Spezialisten aufzusuchen.